Was macht man in einem Sommer, der von Corona bestimmt ist? Eine Radreise wie jedes Jahr. Fast, denn auch wir mussten unsere Pläne kurzfristig anpassen und aus der ursprünglich geplanten Baltikumtour wurde eine Radreise rund um Berlin. Die Runde wurde insgesamt 1.500 km lang, was rechnerisch im Mittel über 200 km Entfernung von Berlin-Mitte bedeutet. Dabei versuchten wir, die großen Flussradwege wie den Elberadweg zu vermeiden. Unsere Streckenplanung machten wir mit bikemap.net und suchten nach den kleineren Nebenrouten.
Das Grüne Band braucht Federung
Als Startort wählten wir Braunschweig und radelten auf unserem Tandem Richtung Süden los. Auf dem Weg zum Harz hatten wir uns für Teilstrecken des Radwegs „Grünes Band“ entschieden, der entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze verläuft. Mit unserem ungefederten Rad machte es aber nur sehr begrenzt Spaß, auf den alten Betonplatten der Grenzpatrouillen zu fahren. Mit ihren Löchern und Unebenheiten waren sie eine Tortur und verlangten die volle Aufmerksamkeit des Piloten. Also bogen wir kurzerhand von der Route ab und nutzten die kleinen Nebenstraßen zwischen den Dörfern zu unserem Tagesziel, der Stadt Wernigerode.
Abseits der großen Radwege
Entlang des Harzes folgten wir der Deutschlandroute 3 bis nach Falkenstein, um dann weiter Richtung Osten zur Saale zu fahren. Auch auf dieser Strecke mussten wir uns erst eingrooven, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. So lernten wir, dass in vielen kleinen Orten die Straßen noch weitgehend mit Kopfsteinen gepflastert sind und die Ausweichroute mit dem Reisetandem der Gehsteig ist. Zwischen den kleinen Orten versuchten wir die Landstraßen zu vermeiden und folgten den radtauglichen Landwirtschaftswegen. Nicht selten endet am Ortsrand das Kopfsteinpflaster und es folgt ein passabler Fahrweg ohne Asphalt. Dieser führt dann bis zu fünf Kilometer schnurgerade zum nächsten Ort. Unverkennbar sind die LPG-Flächen der sozialistischen Planwirtschaft. Riesige Felder ohne Unterbrechung. So suchten wir unseren Weg von Ort zu Ort bis wir auf den Saale-Radweg stießen. Die anschließenden 50 km Radweg entlang der Saale waren pure Entspannung und landschaftlich ansprechend.
Von Calau nach Schilda
Wir besuchten Leipzig und hatten das Glück am Abend bei der Critical Mass mitfahren zu dürfen. Eine Stadtrundfahrt der besonderen Art. Am nächsten Tag fuhren wir auf perfekten Radwegen durch die ehemalige Braunkohleregion von Bitterfeld-Wolfen nach Wittenberg. Ein Stück elbeaufwärts bogen wir ins Tal der Schwarzen Elster ab. Eine wunderschöne Route führte uns durch hohe Kiefernwälder, kleine Dörfer und Städte und abseits jeglichen Trubels Richtung Spreewald. Hatten wir bis dahin über die kuriosen Ortsnamen nur geschmuzelt, begannen wir sie jetzt geradezu zu sammeln. So fuhren wir im Laufe eines Tages durch München, Calau, Münchhausen und Schilda. Den Spreewald mit seinen unzähligen Wasserläufen und den kleinen (Fahrrad-)Straßen muss man mal gesehen haben. Eigentlich ist er zu schade, um nur durchzufahren.
Östlich von Berlin faszinierten uns die Seen im Bereich der Spree, die Region entlang der Oder und das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin. Im kleinen Bio-Ort Brodowin, der von etlichen Badeseen umringt ist, übernachteten wir in den Dreigärten, einem traumhaften Quartier, und fühlten uns maximal weit weg von zu Hause und dem Alltag.
Auf historischen Landstraßen
Eine besondere Erwähnung brauchen die historischen und wahrscheinlich unter Denkmalschutz stehenden Landstraßen im Osten. Folgt man den „radtauglichen“ Strecken auf der Fahrradkarte, so trifft man zeitweise auf die alten Kopfsteinpflaster-Pisten. Es sind Landstraßen, die ihren Verkehr an Neubaustrecken abgegeben haben und sich damit zum Radfahren anbieten. Leider sind sie maximal uneben und häufig etliche Kilometer lang. 10 km/h waren mit dem Tandem hier oft unsere Maximalgeschwindigkeit. Und es gibt kein Entrinnen, denn wo der letzte Stein am Rand aufhört, beginnt der Sand. Nicht nur einmal haben wir uns dort ein Fully oder Fat Bike gewünscht – aber die Landschaft war jede Mühe wert.
Radrouten im Havelland
Über die Seenlandschaft zwischen Uckermark, Müritz und Mecklenburgische Schweiz muss man nicht mehr viel erzählen. Ein Eldorado für alle Freizeitsportler, Radreisende und Gravelfans. Schöne Radwege, herrliche Landschaft, stets ein See in der Nähe und nette Orte prägen die Tour. Wir folgten über eine lange Strecke dem Radweg Berlin-Kopenhagen und dem Havelradweg. Die Region bietet noch viele interessante Routen, die wir bei einer der nächsten Radreisen angehen wollen.
Zwischen Deutschland
Coronabedingt mieden wir die Ostseeküste, denn alle Quartiere waren ausgebucht und die Strände voll. Daher fuhren wir quer durchs Land Richtung Schwerin, schwenkten dort nach Süden und steuerten das Wendland an. In Dömitz trafen wir wieder auf die Elbe. Der Ort an der ehemaligen Staatsgrenze ist noch heute von vielen Leerständen geprägt, dabei lädt die Landschaft zum Genießen ein.
Während in der ehemaligen DDR entlang der Straßen Obstbäume gepflanzt sind, erkennt man die BRD an ihren vielen Eichenalleen. Überrascht haben uns die schönen Runddörfer im Wendland, an denen wir in der Gegend von Lüchow vorbeikamen.
Auf dem Weg gen Süden folgten wir wieder dem „Grünen Band“ bzw. parallel verlaufenden Landstraßen und erreichten nach 12 Tagen Radtour wieder unseren Ausgangspunkt Braunschweig.
Das Fazit der Tour: Der Nordosten Deutschlands lohnt, mit dem Rad entdeckt zu werden. Das nächste Mal machen wir es vielleicht eher mit geländegängigeren Einzelrädern, aber wir haben viele für uns neue Facetten Deutschlands entdeckt. Die dörflichen Strukturen haben uns oft begeistert, genauso wie beispielsweise die Städte Leipzig und Wittenberg. Wenn man von den großen Hauptrouten abbiegt, ist es sinnvoll, die Tagesplanungen etwas zu reduzieren: Dann bleibt das Vergnügen, auch wenn der Weg einen langsam macht. Überschüssige Energie kann man abends immer noch in den Weg zum nächsten Badesee stecken. Wir haben jedenfalls – radtourtypisch – immer wieder überraschende Highlights gefunden. Und haben quasi seit der Heimreise Sehnsucht nach der nächsten Eierschecke. Wer sie nicht kennt: hinfahren, zum Bäcker gehen und probieren.
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