Eine Fotografin entdeckt die Deutsche Einheit
Diesen Sommer brach Mina Esfandiari auf zu einer Radreise der etwas anderen Art. Die Fotografin radelte mit eigener Muskelkraft entlang des offiziellen Radwegs Deutsche Einheit von West nach Ost – von Bonn nach Berlin. Ihr Antrieb? Am 9. November 2019 jährt sich der Mauerfall und nächstes Jahr die Deutsche Einheit zum 30. Mal. Doch wie weit ist Deutschland seitdem zusammen gewachsen? Und sind wir ein Volk? Auf der Suche nach der „deutschen Seele“ sammelte Mina persönliche Geschichten, Stimmungen und Porträts.
Mina, dein neues Fotoprojekt heißt „Von B nach B – Fotografische Begegnungen am Radweg Deutsche Einheit“ und führt dich 30 Jahre nach dem Mauerfall von Bonn nach Berlin. Wie bist du auf dieses Projekt gekommen?
Als ich im Sommer vor 2 Jahren ein Plakat entdeckte, das den Radweg Deutsche Einheit bewarb, kam mir der Blitzgedanke, anlässlich dieses Jubiläums ein Fotoprojekt in Angriff zu nehmen, welches mein Hobby (das Radfahren) mit meinem Beruf (dem Fotografieren) und der Erkundung der „deutschen Seele“ verband.
Wer meine bisherige Arbeit verfolgt hat, dem mag aufgefallen sein, dass ich mich fotografisch bisher hauptsächlich mit meinen iranischen Wurzeln auseinander gesetzt habe. Nun sollte das Thema umgedreht werden – ich wollte das Land besser kennenlernen, in dem ich geboren und sozialisiert bin. Ich wollte mit den Menschen über das Thema „30 Jahre Deutsche Einheit“ sprechen und dabei den Fragen auf den Grund gehen: Wo steht Deutschland heute? Sind wir ein Volk? Was eint uns – was teilt uns?
Du hast als Fortbewegungsmittel dein Fahrrad gewählt – warum?
Einige Wochen, bevor ich auf die Idee des Projekts kam, hatte ich 2 längere Radtouren gemacht … querfeldein von Berlin nach Hamburg und entlang des touristischen Radwegs von Berlin nach Kopenhagen. Ich muss wirklich sagen, dass besonders die letzte Tour für mich eine der tollsten Erfahrungen der letzten Jahre war. Dieses Gefühl von Freiheit – einfach nach Lust und Laune im eigenen Tempo mit eigener Muskelkraft voranzukommen und alles, was man zum Leben braucht, dabei zu haben, hat mich so glücklich gemacht. Vor allem, weil es einem gezeigt hat, wie wenig man eigentlich braucht, um erfüllt zu sein und dass sich vielen relativiert, wenn man auf dem Sattel sitzt: Es geht nur um die essentiellen Dinge – Wo schlage ich als nächstes mein Zelt auf? Wo bekomme ich Trinkwasser und Essen? Und wie wird wohl das Wetter heute?
Genau dieses Erlebnis wollte ich weiterführen – und es mit meiner künstlerischen Arbeit und der Selbsterfahrung verbinden. Durch das Radfahren versprach ich mir ein „fließendes“ Vorankommen. Die Wahrnehmung ist ganz anders, da sich (landschaftliche, regionale etc.) Veränderungen sehr langsam einstellen. Ebenfalls wollte ich durch das Fahren über Land und durch weniger touristisch geprägte Orte, so richtig ins Thema eintauchen und unterschiedliche Lebenswelten kennenlernen.
Ist die Tour so gelaufen, wie du es dir vorgestellt hast?
Vor der Tour hatte ich mir einige Sorgen darüber gemacht, ob meine Fitness wohl ausreichen würde, um jeden Tag mehrere Stunden im Sattel sitzen zu können und all mein Gepäck mit eigener Muskelkraft transportieren zu können – ich hatte nämlich die Wochen davor kaum trainiert. Es stellte sich aber heraus, dass die Ausdauer einfach durchs Machen kam.
Ebenfalls hatte ich mir Gedanken gemacht, ob ich wohl genügend Menschen treffen würde, die sich für mein Projekt interviewen und porträtieren lassen wollten. Auch diese Sorge konnte ich getrost beiseite schieben, denn ich erhielt in den 4 Wochen, die ich unterwegs war so viele freundliche, herzliche Übernachtungseinladungen (meist über Couchsurfing) und hatte so viele interessante, offene Gespräche, dass ich am Ende teilweise in Zeitnot kam. Ich habe die Menschen als überaus gastfreundlich und hilfsbereit empfunden und konnte für mich mit dem Klischee aufräumen, dass die Deutschen verschlossenen und nicht gastfreundlich sind.
Gibt es ein Highlight, dass du ganz besonders in Erinnerung halten wirst?
Das Highlight waren definitiv die menschlichen Begegnungen. z. B. als mir die Schwalmstädterin einfach den Schlüssel zu Ihrem Innenhof gab, um mein Zelt dort aufschlagen zu können, weil das einzige Hotel in dem Ort schon ausgebucht war. Oder der Chefredakteur der Hersfelder Zeitung, der mein Projekt nicht nur in seiner Zeitung vorstellte, sondern sich 2 volle Tage für mich Zeit nahm, um mit mir zur Grenz-Gedenkstätte Point Alpha zu fahren und am selben Tag mit auf die Bad Hersfelder Festspiele zur Premiere von „Emil und die Detektive“ mitzunehmen. Oder die Wittenbergerin, welche mich nach einem wirklich langen und regnerischen Tad auf dem Rad so warmherzig mit einem großen Teller leckerer Pasta (mit frisch-gepflücktem Gemüse aus dem eigenen Garten) empfing und mich ihrer Familie vorstellte.
Landschaftlich war ich durchgehend fasziniert und muss wirklich sagen: Leute, erkundet mal das eigene Land, bevor ihr teure (und umweltschädliche) Fernreisen bucht – hier gibt es so viel zu entdecken. Eine Highlight-Situation war auch, als ich kurz nach Höxter auf freiem Feld von einem Wolkenbruch eingeholt wurde – der Regen peitschte mir nur so ins Gesicht und der Wind blies mich fast vom Fahrrad. Und eine halbe Stunde später war alles vorbei und die Sonne brach durch und erschuf ein wunderschönes Lichtspiel. Dieser Urgewalt der Natur ausgesetzt zu sein, lässt einen auf einmal ganz ehrfürchtig werden.
Wie geht es jetzt weiter?
Momentan bin ich in der Auswertung des Interview- und Bildmaterials. Damit ist dann im Frühjahr 2020 eine Ausstellung und zum Herbst (pünktlich zum 30. Jubiläum der Deutschen Einheit) ein Bildband. bzw. bebilderter Reisebericht geplant. Dafür bin ich übrigens noch auf der Suche nach einem Verlag 😉 Und generell freue ich mich sehr, wenn ich das Thema unter die Menschen bringen kann, z. B. in Vorträgen. Interessierte Menschen – meldet euch gerne bei mir!
Wer auf dem Laufenden gehalten werden möchte, kann Mina entweder per Instagram folgen (@minaesfandiariphotography) oder sich für ihren Newsletter auf www.minaesfandiari.com anmelden!
Mehr zur Tour gibt es auch auf der Website des BMVI!
// Bilder: Mina Esfandiari
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