Es gibt Menschen, für die ist eine Tour abseits von befestigten Wegen ein großes Abenteuer. Und es gibt Ben Page. Ben ist 2014 zu einer dreijährigen Weltreise – per Rad – aufgebrochen. Gestartet in seiner Heimat Großbritannien bereiste er zunächst Europa und Südamerika, bevor es ihn in den hohen Norden zog. Genauer gesagt: die kanadische Arktis. Ben wollte den nördlichen besiedelten Punkt des amerikanischen Kontinents erreichen. Im Winter. Mit dem Fahrrad.
Dass solch ein Unterfangen kein Zuckerschlecken ist, brauche ich wohl Niemandem zu erklären. Doch die Herausforderungen, die Ben erwarteten, waren nicht das, was er vorhergesehen hatte. Zum Glück hatte er stets seine Kamera dabei! Denn so konnte Ben seine Erfahrungen in Kälte, Schnee und Einsamkeit in einem beeindruckenden Kurzfilm verarbeiten. „The Frozen Road“ ist jede Sekunde seiner knapp 25 Minuten wert! Ich war so glücklich und konnte den Abenteurer zu seinem Projekt interviewen.
Ben, wie bist du in der kanadischen Arktis gelandet?
Ich befand mich gerade auf meiner Radreise rund um die Welt. Das vergangene Jahr hatte ich damit verbracht, von der Südspitze Südamerikas aus den amerikanischen Kontinent hochzufahren. Während meiner Fahrt durch die chilenische Atacama-Wüste las ich einige Romane von Jack London, in denen er die Winter im Norden von Kanada und Alaska beschrieb. Die Bilder sprangen nur so aus den Buchseiten – dies schien das absolute Gegenteil von der trockenen, heißen Wüste zu sein, durch die ich gerade fuhr. Also entschied ich mich es zu versuchen, wenn ich Nordamerika erreichen sollte, mitten im Winter zum Nordpolarmeer zu radeln. Es war super so ein großes und aufregendes Ziel zu haben. Das hat mich über die vielen mühsamen Kilometer, die jede Radtour in sich hat, motiviert gehalten.
Wie hast du dich auf dieses Unterfangen vorbereitet? Welches Fahrrad und welches Equipment hast du mitgenommen?
Ich habe glücklicherweise einen Sponsor für mein Rad gefunden: Fatback Bikes. Die haben mir freundlicherweise ein Fatbike zur Verfügung gestellt, das ich für die Schneeverhältnisse oben im Norden brauchte. Ich fand das Rad so gut, dass ich sogar meine Weltreise damit fortsetzte – weitere 18 Monate und drei Kontinente!
Abgesehen vom Fahrrad wusste ich, dass ich warme Kleidung und Stiefel brauchen würde. Es gab nicht viele Informationen im Internet über Kaltwetter-Radtouren – also musste ich mich mit dem bisschen zufrieden geben, was es gab, und selbst einschätzen, was für mich funktionieren würde. Ich kaufte ein altes Paar fellgefütterte Militärstiefel auf eBay für etwa 20 Dollar und ein paar Arktis-Socken. Zu diesem Zeitpunkt der Reise hatte ich Whistler in British Columbia erreicht und arbeitete für ein paar Monate in Outdoorläden, um Rabatte auf die Ausrüstung zu bekommen.
Ich hatte mich auch an eine Reihe von Outdoor-Marken gewendet, um zu sehen, ob sie an einem Sponsoring interessiert wären. Aber die dachten alle, dass meine Idee verrückt und ich dazu verdammt sei zu scheitern – also sagten sie ab. Neben der Ausrüstung war nicht viel Vorbereitung nötig. Ich war die letzten 15 Monate fast täglich auf dem Rad unterwegs gewesen, also war ich die Bikepacking-Routine gewöhnt.
Und wie zum Teufel hast du es geschafft, dass deine Finger nicht abgefroren sind?
Die meiste Zeit waren meine Hände in dicken Handschuhen oder Pogies (gefütterte Fahrradlenker-Handschuhe) vergraben und daher kuschlig warm – wenn nicht sogar zu warm. Eine der größten Schwierigkeiten in solch kalten Umgebungen ist meist nicht der Umgang mit Kälte – sondern der mit Feuchtigkeit. Dein Körper gibt ja ständig Feuchtigkeit ab, was dazu führen kann, dass deine Kleidung gefriert – natürlich kein guter Zustand. Um dem entgegenzuwirken, ist das Lagensystem super wichtig. Damit wird die Feuchtigkeit vom Körper weggeführt und kann auf der äußersten Schicht der Kleidung gefrieren. Beim Schlafen gilt dasselbe: Ich habe eine Dampfsperre, einen sog. Vapour Barrier Liner, genutzt. Der verhindert, dass Feuchtigkeit in die Daune des Schlafsacks gelangt. So viel dazu.
Doch weil ich während der Fahrt häufig fotografiert oder gefilmt habe, habe ich oft meine warmen, feuchten Hände aus den Pogies oder Handschuhen genommen, um die Kamera zu bedienen. Das endete dann oft damit, dass meine Finger einfroren und ich die nächsten fünf Minuten mit schrecklichen Schmerzen verbracht habe, als sie wieder aufwärmten. Selbst heute kann ich manche meiner Fingerspitzen deswegen nicht mehr spüren.
Was war – ganz generell – die größte Herausforderung an deiner Reise?
Ich denke, zu allem, für das man sich einen längeren Zeitraum verpflichtet, kommt eine lange Phase mit Selbstzweifeln daher. Ich hatte mir eine dreijährige Reise in den Kopf gesetzt – und zu sehen, wie sich die Zeit vor mir erstreckte, war unglaublich entmutigend. Besonders während der ersten sechs Monate schien das Ende der Reise noch ein Leben lang weg zu sein. Man wird jedoch jeden Tag ein wenig stärker, sowohl geistig als auch körperlich – und jeden Tag gewöhnt man sich mehr an sein neues Leben. Es war wie bei allen Herausforderungen: die Sache Stück für Stück angehen ist die Lösung!
Würdest du es wieder tun?
Ha! Auf keinen Fall. Drei Jahre sind eine verdammt lange Zeit – und ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Zeitspanne noch einmal dem Solo-Reisen widmen möchte. Allerdings habe ich gelernt, dass man aus einer kürzeren Reise, zwischen drei und sechs Monaten, sehr viel herausziehen kann. Dieser Zeitraum ist lang genug, um wirklich das Gefühl zu haben, dass man die Heimat verlassen hat und „raus“ ist sowie lang genug, um nicht zu sehr unter Zeitdruck zu stehen. Aber er ist auch kurz genug, um das Abenteuer nicht als selbstverständlich zu betrachten. So kannst du dich immer daran erinnern, wie privilegiert du bist, das zu tun, was du tust. Es gab sicherlich Zeiten auf meiner Reise, in denen die Routine meiner Fahrt das Abenteuer in den Hintergrund gerückt hat und der „magische Funke“ der Aufregung verschwunden ist.
// Bilder: Ben Page
Und wer sich „The Frozen Road“ einmal ansehen möchte, kann das hier tun:
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